Welches Kind war die größte Umstellung werde ich oft gefragt. Erwartet wird dabei, dass ich sage: „Das zweite, weil wir plötzlich eine richtige Familie waren“ (was auch immer eine falsche Familie sein soll) oder „Das dritte, weil wir plötzlich als Erwachsene in der Unterzahl waren.“ Ich selber würde eher noch antworten: „Das vierte, weil wir seitdem gesellschaftlich eine überdurchschnittlich große Familie sind.“ Doch meine tatsächlich Antwort ist und war immer: „Das erste. Denn da wurde nicht nur ein Kind, sondern auch eine Mutter geboren.“
Ich weiß nicht ob und wie viele Kinder du hast, aber ich vermute, dass dieser Text hauptsächlich von Müttern oder Frauen, die in naher Zukunft Mutter werden wollen, gelesen wird. Und ich vermute deshalb, dass ich nicht die Einzige bin, die diese neue Rolle als einschneidendes Erlebnis wahrgenommen hat. Für mich war es die bisher größte Veränderung in meinem Leben. Viel größer als Ehe, Umzüge oder sogar das Auswandern. Mutter werden hat mich verändert und es hat verändert, wie mich Menschen sehen. Vielleicht war es auch speziell als junge Mutter in einem christlich konservativen Umfeld eine besondere Erfahrung – aber vermutlich bin ich auch damit nicht die einzige unter meinen Leserinnen.
Ich bin jetzt bereits seit fast zehn Jahren Mutter (ich rechne immer vom Moment der Schwangerschaft, nicht der Geburt) und habe in all diesen Jahren das Thema Beruf und Berufung als Mutter bewegt, diskutiert, ausprobiert und dabei Erfahrungen gesammelt. Heute möchte ich vier Gedanken mit dir teilen, um deine Berufung als Mutter nicht zu vernachlässigen.
1. DEFINIERE BERUFUNG
Ich höre an dieser Stelle im Text Stimmen. Hörst du sie auch? Sie sind empört und gestresst, denn ich habe gerade den Deckel von dem Fass gehoben in dem die viel zu heiße Suppe der Emanzipation kocht. Ich habe Mutterschaft und Berufung voneinander getrennt. Das muss man nicht. Es gibt Frauen, die definieren Mutterschaft als ihre Bestimmung und Berufung. Ihren wichtigsten – und vor allem einzigen – Auftrag in dieser Zeit in der die Kinder klein sind. Und schon bei dieser Formulierung fällt auf, dass auch hier definiert werden darf, ob es denn der wichtigsten Teil des Lebens ist, ob wichtigste gleich einzige bedeutet und wie lange konkret Kinder „klein“ sind. Ich habe mit diesen Stimmen und mit der Empörung über meine Suppe kein Problem mehr, denn ich habe ihnen lange zugehört, habe sie in mir getragen und ihnen nun langsam ihre Grenzen zugeteilt.
Wenn für dich Mutterschaft nicht den alleinigen Name deiner aktuellen Berufung beschreibt und du diese Stimmen dennoch kennst, die dir ein schlechtes Gewissen machen, die dich denken lassen, dass nur schlechte Mütter Aufgaben suchen die ausserhalb der Carearbeit liegen, dann lohnt es sich für dich dran zu bleiben. Denn man muss Mutterschaft nicht von Berufung trennen, aber es macht meiner Meinung nach vollkommen Sinn. Allein schon aus dem Grund, dass ich meinen Kindern nicht den Druck auferlege alleiniger Inhalt meiner Berufung zu sein. Ich merke, ich könnte hier Bücher schreiben, aber von denen gibt es auch schon so viele. Also bleiben wir hier bei meiner Perspektive: Für mich sind Mutterschaft und Berufung unterschiedliche Dinge. Für mich persönlich ist Mutterschaft gerade meine liebste, wichtigste und herausforderndste Aufgabe – aber nicht die einzige. Manche Teile meiner Berufung kann ich, mit dem nötigen Einsatz, parallel zu meinen Aufgaben als Mutter ausleben. Zum Beispiel das Schreiben und das Begeistern für Ideen und Produkte über meinen Instagramaccount. Andere Teile meiner Berufung, zum Beispiel das Predigen passen nur in einem sehr abgesteckten Rahmen in mein aktuelles Leben. Und dann gibt es Dinge von denen ich träume, Teile meiner Berufung, die ich noch entdecken werde, die mehr Raum bekommen werden, wenn meine Aufgaben als Mutter weniger zeitaufwendig werden. Und immer wieder definiere ich Berufung neu. Berufung ist dynamisch, ein Wort das Bestimmung und Sinnhaftigkeit in sich trägt, dass mich konkret praktisch werden lässt und über meinen eigenen Selbstzweck hinaus sieht. Doch um nicht in ständigen inneren Konflikten zu leben, möchte es definiert werden. Und dazu möchte ich dich ermutigen. Definiere deine Berufung – gerade wenn du auch Mutter bist.
2. HANDELN VOR DENKEN
In meiner Tätigkeit als Teamleiterin einer großen Community von Idealistinnen, die von fairen und grünen Produkten begeistern, spreche ich mit vielen Müttern. Und immer wieder höre ich: „Das mache ich, wenn ich die Kapazitäten dafür habe.“ Und vermutlich ist das vernünftig – vielleicht. Und gleichzeitig kann ich es doch niemandem guten Gewissens raten. Denn die Kapazitäten wachsen auch mit den Herausforderungen – das wissen wir doch als Mütter besonders gut. Und wir sind zu so viel mehr in der Lage als wir jemals geglaubt haben. Es ist gesund auf eigene Grenzen zu achten – und das ist eines meiner größten Lernfelder. Und doch werden manche Grenzen nicht aus Überforderung sondern aus Angst davor gesetzt. Hätte ich gewartet bis ich Kapazitäten habe, hätte ich niemals mein erstes Buch in der Elternzeit mit zwei Kindern unter zwei geschrieben. Wird auch mittlerweile nicht mehr aufgelegt. War es also umsonst? Nein! Ich habe gelernt, bin gewachsen, habe an Standing, Reife und Reichweite gewonnen. Ich habe es einfach gemacht – nicht perfekt, nicht mit großen Zeitreserven. Auch nachts. Und es war gut. Ich wäre niemals in dieses Business, eingestiegen, wenn ich auf den Moment gewartet hätte, an dem nichts anderes meine Aufmerksamkeit wollte. Ich habe es einfach gemacht, stillend mit meinem dritten Baby im Arm an einem Novemberabend über mein Handy abends im Bett während wir zu fünft in zwei Zimmern im Keller wohnten und nicht wussten, wo wir hingehören. Mittlerweile ist es zu einem dynamischen, segensreichen Business herausgewachsen, das mich regelmäßig demütig werden lässt. Wenn du eine vernünftige Meinung willst, frag jemand anderen. Aber wenn du wissen willst, was mich heute hierher getragen hat: Jede Menge Gnade und, dass ich nicht zu viel gedacht bevor ich gehandelt habe. Als Richard Rohr heute morgen im Podcast sagte: „Du kannst dich nicht in die Umsetzung denken.“ Wusste ich wieder, dass ich mit dieser Philosophie auch nicht allein bin.
3. CARE- UND HAUSARBEIT REDUZIEREN
Vor einigen Jahren fragte ich meine Mutter nebenbei, ob sie heute Arbeiten ginge. Ich meinte damit ihren Erwerbsjob. Und sie antwortete beiläufig: „Nein heute arbeite ich unbezahlt.“ Das ist mir irgendwie hängen geblieben. Die Aussage hat nichts daran verändert, dass meine Mutter viele viele Jahre unbezahlt für die Familie gearbeitet hat. Doch sie hat diese Tatsache sichtbar gemacht. Haus- und Sorgearbeit als Arbeit zu bezeichnen ist immer der erste Schritt und der beginnt meistens bei uns selbst. Doch die Arbeit einfach so zu reduzieren ist gar nicht so einfach, denn dazu brauchen wir auch andere Menschen, zu allererst unseren Partner. Nach dem Erkennen und Benennen von unsichtbarer Arbeit, beginnt das Aufteilen. Das ist in den allermeisten Fällen nicht romantisch und kann einen langen Prozess des Diskutierens, Ausprobierens und Umlernens nach sich ziehen. Und der ist es wert! Niemand hat gesagt, dass es einfach sein wird über Generationen gewachsene Rollenbilder zu verändern. Doch es lohnt sich.
Eine weitere Möglichkeit Haus- und Sorgearbeit zu reduzieren ist, weniger davon zu machen. Ja, ich höre dein ungläubiges Lachen. War auch meins. Ja, ich mag den Gedanken an Unordnung und Wäscheberge auch nicht. Aber zum einen schließt sich da der Kreis zum Anfang des Punktes, denn auch das Nicht-Erledigen macht die Arbeit sichtbar. Und darüber hinaus ist meine Erfahrung, dass ich mit dem Haushalt sowieso niemals fertig werde und gleichzeitig stören mich schmutzige Waschbecken und Krümmel auf dem Boden irgendwie weniger, wenn ich mich einen Teil des Tages mit Dingen beschäftige, die ausserhalb dieser Putz-, Aufräum und Familienwelt stattfinden. Ich war in den Zeiten in denen ich fast ausschließlich zu Hause war und genug Zeit für den Haushalt hatte unzufriedener damit als in Lebensphasen in denen ich einfach zu beschäftigt war um mehr als einmal im Jahr Fenster zu putzen. Heute bin ich außerdem total dankbar für unsere Haushaltshilfe, den Saugroboter und Lieferservices für Lebensmittel. Diese Hilfen kosten Geld, das wir wiederum bezahlen können, weil ich Erwerbsarbeit leiste und dafür bin ich jede Woche wieder dankbar.
4. DIE RICHTUNG ZÄHLT
Ich kenne Frauen, die wissen gar nicht wozu ich diesen Artikel schreibe. Die sind ganz selbstverständlich nach 11 Monaten Elternzeit in ihren Vollzeitjob zurück gekehrt. Ich bin keine dieser Frauen, ich mag Teilzeit-Arbeiten und liebe die Zeit mit den Kindern. Und ich treffe immer wieder Frauen, die sagen: „Mein Mann arbeitet schon so viel. Wenn ich jetzt auch noch arbeite, dann haben wir kaum noch Familienzeit.“ Da steht noch das ungeschriebene Gesetz, dass Männer sowieso Vollzeit arbeiten und Frauen nur, wenn nach der Familienarbeit noch Zeit übrig bleibt – also nie. Und dazwischen gibt es ganz, ganz viele unterschiedliche Modelle und Haltungen, die diesen Beitrag sprengen würden.
Ich bin jetzt weitergehend davon ausgegangen, dass Berufung sich mit Erwerbsarbeit deckt. Das ist natürlich nicht immer so und außerdem ein Erste-Welt-Privileg. Genauso wie die Aussage „Mutter sein ist meine Berufung“. Sowohl das Leben von einem Gehalt als auch die Möglichkeit, sich im Beruf selbst zu verwirklichen und die eigene Bestimmung zu entdecken, sind unglaubliche Privilegien. Privilegien, die viele von uns nicht oder nur teilweise leben können.
Was ich sagen will: Wir dürfen uns hier ganz und gar von einem dualistischen „richtig-oder-falsch-Denken“ verabschieden. Bei der Gestaltung der Rolle als Eltern gibt es keine Vorlage. Es ist ein ständiges Entwickeln, Hinterfragen, Weiterdenken und sich im Prozess Wachsen. Unsere Entscheidungen sind abhängig von unserer Herkunftsfamilie, unserer Prägung, unseren sozialen, finanziellen und emotionalen Ressourcen. Wir entwickeln uns – ständig. Ubd sicher nicht immer nur zum Positiven. Auch das ist Leben. Dabei gibt es Zeiten die sich trocken wie Wüsten anfühlen und andere in denen wir förmlich aufblühen. Und auch dadurch lernen wir unseren Weg besser navigieren. Wir können nicht jeden Schritt planen und unsere Pläne werden sich immer wieder dem Leben anpassen und doch bestimmen wir die Richtung. Auch im stürmischen Meer der Kleinkindjahre entscheiden wir in welche Richtung wir uns entwickeln. Oft geschieht es allein dadurch, wen wir uns zum Vorbild nehmen, welche Bücher und Podcasts wir konsumieren und ob wir für uns immer wieder definieren, wie wir unsere Berufung gerade verstehen. „Definiere deine Berufung“ kann uns schnell unzufrieden machen. Denn nichts ist blöder als eine klar definierte Berufung, die praktisch einfach zu wenig Platz im Alltag findet. Oder? Doch! Es ist noch blöder deinen tiefen Wünschen, Begabungen und deiner Bestimmung keine Beachtung zu schenken und sie im Sand verlaufen zu lassen, weil du Angst hast ihnen nicht gerecht zu werden. Das wäre tatsächlich jammerschade!
Das Leben geht keine geraden Wege und so wird auch unsere Berufung immer wieder Wendungen nehmen. Doch du entscheidest, ob du dich ausrichtest und die Verantwortung für deine Lebensjahre übernimmst und einfach mal in die Richtung losgehst, die du dir wünscht. Ich arbeite jetzt schon zehn Jahre als Mutter nebenbei. Teilweise gut, schlecht und unbezahlt, selbstständig und angestellt. Und zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, meinen Aufgaben vollkommen gerecht zu werden. Und doch haben diese vielen umperfekten Schritte mich einen Weg gehen lassen, den ich niemals missen möchte – vielleicht dürfen diese Erfahrungen dich heute ermutigen auch deinen weiter zu gehen. Die Richtung zählt.
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Vielen Dank fürs Lesen und Teilen meiner Beiträge. Auf Grund der Partnerschaft mit Ringana – und ab und zu anderen Kooperationen – kann ich euch meine Texte kostenlos zur Verfügung stellen und verdiene Geld mit der Werbung für diese Produkte. Wenn du mich unterstützen möchtest, probier sie doch einmal aus. Dann haben wir beide gewonnen.
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P.s: Ich bekomme immer mal wieder Nachrichten mit Hinweisen zu Rechtschreibkorrekturen. Ich sags euch wie es ist: Wenn ich meine Texte hier mehr als einmal Korrektur lese bevor ich sie veröffentliche, bleiben sie lange liegen und mir vergeht die Freude. „Better done than perfect“ ist mein Motto dabei und du darfst gern jeden Fehler den du entdeckst als Erinnerung nehmen, dass auch du gut genug bist.